Mittelpunkt - Dezember 2022

Liebe*r Leser*in,

plötzlich ging es ganz schnell und das „Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Einführung einer kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken“ lag in vielen E-Mailpostfächern. Wenige Tage zuvor waren schon einige Informationen geleakt worden, die, wie auch das vorgelegte Eckpunktepapier belegen, dass sich die Bundesrepublik endlich auf den Weg zu einer neuen Sucht- und Drogenpolitik gemacht hat. Sicherlich sind aus suchtpräventiver nicht alle Vorschläge ausreichend oder wünschenswert und in den nun anstehenden Diskussions- und Aushandlungsprozessen werden wir sicherlich noch einige Veränderungen debattieren. Ich bin - wie viele andere Kolleg*innen - sehr gespannt und wir schauen diesbezüglich sehr aufmerksam Richtung Brüssel, von wo die richtungsweisende rechtliche Einschätzung bzgl. einer möglichen Umsetzung erwartet wird.

In unserer letzten Ausgabe 2022 von Mittelpunkt erwartet Sie ein kurzer Bericht unserer Jahrestagung und wie gewohnt Neuigkeiten zu aktuellen Studien, Berichten, Materialien, Veranstaltungen und Terminen in Hamburg und darüber hinaus.

Ich bedanke mich für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit und freue mich, auch im kommenden Jahr wieder mit Ihnen gemeinsam für die Anliegen der Suchtkrankenhilfe und Suchtvorbeugung aktiv zu sein.

Mit freundlichem Gruß

Christiane Lieb

Geschäftsführerin SUCHT.HAMBURG

Dokumentation der Jahrestagung ENTER. CONTROL. EXIT. – Internetbezogene Störungen in der Diskussion am 16. November

Internetbezogene Störungen standen vor dem Hintergrund der aktuellen Prävalenzentwicklungen im Mittelpunkt unserer Jahrestagung am 16. November, die von Staatsrätin Melanie Schlotzhauer eröffnet wurde.

Die Tagung starte mit einem Vortrag von Prof. Dr. Hans-Jürgen Rumpf (Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Lübeck) über „Internetbezogene Störungen“, der die Grenze zwischen einem ausgewogenen Gebrauch des Internets und einer suchtartigen Nutzung aufzeigte. Da sich eine exzessive Nutzung des Internets auf verschiedene Formen der Nutzung von Social Media oder Computerspielen beziehen kann, sind die Bezeichnungen für dieses Phänomen teilweise nicht einheitlich und sehr vielfältig, so Prof. Dr. Rumpf weiter. Er plädierte daher für eine vereinheitlichende Bezeichnung als „Internetnutzungsstörung“ für Probleme aufgrund von Verhaltensweisen, die überwiegend online ausgeführt werden. Dies soll gleichzeitig auch Stigmatisierungen von Betroffenen aufgrund des Suchtbegriffs entgegenwirken.

Prof. Dr. Florian Rehbein (Fachhochschule Münster) ging in seinem Vortrag auf die Bedeutung der Computerspielenutzung und den aktuellen Stand der Suchtprävention ein. Historisch einmalig sei der Gebrauch von Computerspielen bereits im Vorschulalter, so Prof. Dr. Rehbein. Aktuell spiegeln jedoch die Alterskennzeichnung und somit auch der Jugendschutz von Spielen nicht ihr Suchtrisiko für Spieler*innen wider. Das sollte geändert werden. Doch nicht nur hier sieht Prof. Dr. Rehbein Handlungsbedarf, sondern u. a. auch in den Bereichen Früherkennung und Verhältnisprävention.

Dr. Bernd Sobottka (MEDIAN Klinik Schweriner See) gab in seinem Beitrag Einblicke in den klinischen Alltag bei der Behandlung und Therapie von erwachsenen Computerspieler*innen. Der überwiegende Teil der Menschen, die sich wegen einer Computerspielstörung in Therapie befinden, seien jüngere Männer, so Dr. Sobottka. Die ersten beiden Wochen der stationären Behandlung seien meist eine kritische Phase, sobald diese überstanden sei, sind die Chancen die Therapie regulär und mit Erfolg abzuschließen gut, so Dr. Sobottka. Mit der entsprechenden Nachsorge in ambulanten Suchtberatungsstellen und Suchtselbsthilfegruppen kann ein Großteil der Computerspieler*innen nach der Therapie einen kompetenten und stabilen Umgang mit dem Computer und dem Internet beibehalten.

Nach den Impulsvorträgen hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich in insgesamt sechs themenspezifischen Workshops auszutauschen und Aspekte der Internetnutzungsstörung weiter zu vertiefen. Unter anderem ging es dabei um Konvergenzen im Bereich Gaming und Gambling, den Einsatz digitaler Medien in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, die Behandlung von Jugendlichen bei Computerspielsucht, die Selbstdarstellung und Selbstwahrnehmung in Social Media, die Begleitung von Jugendlichen auf dem Weg in die Medienmündigkeit sowie Einblicke in aktuelle Gaming-Trends. Die Zusammenfassung der Workshops können Sie hier herunterladen.

Im Abschlussvortrag „Internetpornografie – von der Normalisierung zur Diagnose“ stellte Dietrich Riesen (return Fachstelle Mediensucht Hannover) dar, dass der Konsum von pornographischen Inhalten lange Zeit verharmlost und tabuisiert wurde. Die Einführung der Diagnose „Pornografienutzungsstörung“ führt nun zu einem Wandel. Mehr und mehr Menschen suchen aufgrund ihres exzessiven Pornokonsums Hilfe in Beratungsstellen, auch in Hamburg. Der leichte Zugang und die Anonymität zur digitalen Sexualität trägt dazu bei, dass vermehrt Pornos konsumiert werden, so Dietrich Riesen. In der Behandlung liegt der Fokus auf Reflexion, Grenzen setzen und Alternativen aufzeigen. Es gilt sich diesem Thema weiterhin stärker zu öffnen, sowohl in der Suchthilfe als auch in der Politik.

Internetnutzungsstörungen haben sich unter den Suchterkrankungen als eigenständiges Krankheitsbild etabliert. Die Erkrankung muss je nach Ausprägung differenziert betrachtet und behandelt werden. Dazu müssen in Zukunft noch stärker die Mechanismen, die mit einer Suchtentwicklung im Zusammenhang stehen, in Betracht gezogen werden. Die Fachtagung machte aber auch deutlich, dass die Anbieter*innen zum Beispiel von Computerspielen noch stärker in die Verantwortung genommen werden müssen, um diese Mechanismen zu entschärfen.

Die Vorträge können Sie auf unserer Webseite hier https://www.sucht-hamburg.de/information/aktuelles/414-dokumentation-der-jahrestagung-enter-exit-control herunterladen oder auf unserem YouTube-Kanal ansehen.

25. Jahresbericht und Basisdaten zur Suchthilfe in Hamburg veröffentlicht

Am 6. Dezember wurde der nunmehr 25. Jahresbericht mit den Basisdaten der ambulanten Suchthilfe (BADO) für das Jahr 2021 veröffentlicht.

Im Jahr 2021 wurden in den 58 Hamburger Suchthilfeeinrichtungen insgesamt 14.281 verschiedene Personen beraten und betreut. 12.696 Personen kamen mit einer eigenen Suchtproblematik, etwa 1.600 Personen als Angehörige in die Suchtberatung.

Rund 30% aller Klient*innen suchten aufgrund einer Alkoholproblematik Hilfe und Unterstützung, knapp ein Viertel konsumierten Opioide, etwa jede fünfte Person Cannabis und jede achte Person konsumierte Kokain. 3 % der Hilfesuchenden gaben als Hauptproblem eine Glücksspielsucht an.

Interessant ist Beobachtung, dass die Gesamtzahl der Betreuungen in der Suchthilfe in Hamburg tendenziell sinkt. Dies sei, so BADO e.V., nur bedingt auf die pandemiebedingten Entwicklungen zurückzuführen. So wurden in 2021 10.546 Betreuungen für Klient*innen mit eigenständiger Suchtproblematik neu begonnen. Dies waren 966 weniger Betreuungen als im Mittel der Jahre 2016 bis 2019. Dieser Rückgang ist nicht zuletzt auch auf Änderungen u.a. in den zur Verfügung stehenden Personalressourcen zu sehen.

Schwerpunktthema der diesjährigen BADO sind die psychischen Belastungen suchtkranker Menschen. So kommt die BADO zu dem Ergebnis, dass 47 % der Hilfesuchenden einer erheblichen bis extremen psychischen Belastung ausgesetzt sind. Die Cannabiskonsumierenden zeigen hier mit einem Anteil von 39 % den geringsten Anteil, die Gruppe der Glücksspielabhängigen haben mit einem Anteil von 54 % die höchste Ausprägung. Quelle und alle weiteren Informationen unter http://bado.de/publikationen/2022/12/statusbericht-2021/, letzter Zugriff am 9.12.2022

suchtberatung.digital – Auch Hamburg beteiligt sich an der Modellphase

Wer eine Sucht entwickelt hat, sollte sich möglichst früh Hilfe holen. Viele greifen allerdings erst spät zur Hilfe durch Fachleute. Kostenfrei und anonym gibt es künftig Suchthilfe im Internet mit der bundesweit verfügbaren Plattform suchtberatung.digital.

Das Beratungsangebot www.suchtberatung.digital ist direkt über den Internetbrowser auf allen mobilen Endgeräten nutzbar, es wird keine App oder Software benötigt. Über die Eingabe von Postleitzahl, Alter und Geschlecht gelangen die Hilfesuchenden zu ihrem passgenauen Beratungsangebot. Bundesweit beteiligen sich derzeit 14 Bundesländer mit insgesamt 40 Beratungsstellen. In Hamburg sind die Suchtberatungsstellen Frauenperspektiven e.V., jhj Hamburg e.V. und jugend.drogen.beratung.kö bei der Modellphase bis 2023 dabei. Damit wurden bewusst drei sehr verschiedene Angebote auch für Frauen und junge Menschen ausgewählt, sodass im Rahmen der Online-Beratung eine breite Zielgruppe angesprochen werden kann.

Quelle und weitere Informationen unter https://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/16586818/2022-10-17-sozialbehoerde-digitale-suchtberatung/, letzter Zugriff am 9.12.2022

Weitere Neuigkeiten und Materialien

Epidemiologische Fact Sheets von SUCHT.HAMBURG

Zur schnellen, systematischen und komprimierten Übersicht stehen ab sofort themenspezifische Übersichten zu den gängigsten Konsumprävalenzen der Jugendlichen in Hamburg aus unserer aktuellen der SCHULBUS-Studie zur Verfügung. Sie finden die Fact Sheets zu Alkohol, Rauchen, Cannabis, andere illegale Drogen, Internet- und Computerspielnutzung, Glücksspiel und Essstörungen ab sofort auf unserer Webseite unter Publikationen.

Aktualisierung der „Qualitätsstandards in der betrieblichen Suchtprävention und Suchthilfe“ erschienen

Das „Standardwerk“ der betrieblichen Suchtprävention ist von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) kürzlich grundlegend aktualisiert und neu aufgelegt worden. Ziel der Publikation ist es, den Beteiligten ein fachlich und rechtlich abgestimmtes Konzept als Handreichung für die betriebliche Praxis zu liefern. Es kann für Betriebe aller Größenordnungen herangezogen werden, um das eigene Angebot zum einen am Bedarf anzupassen und zum anderen an aktuellen Standards auszurichten. Das Heft kann aktuell hier als PDF kostenfrei abgerufen werden.

Reitox Jahresbericht für Deutschland 2022

Frisch erschienen ist auch der Reitox-Jahresbericht für Deutschland. Neben aktuellen Konsumprävalenzen von Erwachsenen in Deutschland, informiert der Reitox-Bericht über aktuelle Entwicklungen in den Bereichen Prävention, Beratung, Behandlung, Schadensminderung und Angebotsbekämpfung zur Verbreitung illegaler Drogen in Deutschland.

Der Bericht der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) erscheint jährlich und fasst als Teil des Europäischen Drogenbeobachtungssystems die Situation illegaler Drogen in Deutschland zusammen. Weitere Informationen zum Thema, das Factsheet zu Cannabis sowie den vollständigen Bericht finden Sie unter www.dbdd.de. (Quelle: https://www.dbdd.de/fileadmin/user_upload_dbdd/05_Publikationen/PDFs/REITOX_BERICHT_2022/2022_Pressemitteilung_Reitox.pdf, letzter Zugriff 9.12.2022)

9. Alternativer Drogen- und Suchtbericht erschienen

Ende November ist der bereits 9. Alternative Drogen- und Suchtbericht 2022 mit dem Schwerpunktthema Legalisierung von Cannabis erschienen. Im Bericht stellen international anerkannte Expert*innen in kurzen Beiträge Möglichkeiten, Erfordernisse und auch Risiken der Legalisierung dar. Dabei werden praktische Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse aus Europa berücksichtigt, die die Debatte um die geplante Legalisierung von Cannabis in Deutschland ergänzen. Quelle und weitere Informationen unter https://alternativer-drogenbericht.de/9-alternativer-drogen-und-suchtb-ericht-2022/, letzter Zugriff 9.12.2022

Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Einführung einer kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken

Ende Oktober wurde von Bundesgesundheitsminister Dr. Karl Lauterbach im Rahmen der Bundespressekonferenz das Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Einführung einer kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken vorgestellt. Die wichtigsten benannten gesetzlichen Veränderungen sind: Cannabis und Tetrahydrocannabinol (THC) werden künftig rechtlich nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft, Produktion, Lieferung und Vertrieb werden innerhalb eines lizenzierten und staatlich kontrollierten Rahmens zugelassen, Erwerb und der Besitz bis zu einer Höchstmenge von 20 bis 30 Gramm Genusscannabis zum Eigenkonsum im privaten und öffentlichen Raum werden straffrei ermöglicht und privater Eigenanbau in begrenztem Umfang erlaubt, laufende Ermittlungs- und Strafverfahren sollen zu dann nicht mehr strafbaren Handlungen beendet werden, der Vertrieb darf mit Alterskontrolle in lizenzierten Fachgeschäften und ggf. Apotheken erfolgen, Werbung für Cannabisprodukte wird untersagt, als Mindestaltersgrenze für Verkauf und Erwerb wird die Vollendung des 18. Lebensjahres, cannabisbezogene Aufklärungs- und Präventionsarbeit sowie zielgruppenspezifische Beratungs- und Behandlungsangebote werden weiterentwickelt. Das vollständige Eckpunktepapier können Sie hier herunterladen. Quelle und weitere Informationen: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/kontrollierte-abgabe-von-cannabis-eckpunktepapier-der-bundesregierung-liegt-vor.html, letzter Zugriff 12.12.22

Ausgewählte Fortbildungsangebote in Hamburg

Body2Brain CCM® Level I - Aufbaukurs am 23. Januar 2023 Mehr Informationen und Anmeldung

Grundlagen der Suchtprävention II – Aufbau-Webseminar am 27. Januar 2023 Mehr Informationen und Anmeldung

Persönlichkeitsstörungen - Hintergründe, Erklärungsmodelle, Forschungsergebnisse, Versorgungssituation am 9. Februar 2023 Mehr Informationen und Anmeldung

Rassismuskritische Beratung - Rassismus und intersektionale Diskriminierung: Erkennen, Handeln, Reflektieren am 16. Februar 2023 Mehr Informationen und Anmeldung

Heikle Themen ansprechen – Veränderung ermöglichen Kita-MOVE – Motivierende Kurzintervention im Elterngespräch 3-tägige Veranstaltung 3-tägige Veranstaltung am 20.März, 27.März und 3.April 2023 Mehr Informationen und Anmeldung

Cannabis, ein Thema jugendlicher Mädchen? Information - Beratung - Prävention am 30. März 2023 Mehr Informationen und Anmeldung

TOM & LISA - Schulung 2023 zu Moderator*innen in Hamburg am 31. März 2023 Mehr Informationen und Anmeldung

Termine

107. Wissenschaftliche Jahrestagung des bus. Bundesverband Suchthilfe e.V. „Suchthilfe: komplex und konsequent kompetent - Aktuelle Entwicklungen in Beratung und Therapie“ am 22. und 23. März in Berlin Mehr Informationen

Save the Date: 27. Suchttherapietage „Auswirkungen von Krisen auf Suchthilfe und Prävention“ vom 15. bis 17. Mai 2023 in Hamburg Mehr Informationen

44. fdr+sucht+kongress „Entstigmatisierung in der Suchtprävention, Suchthilfe und Suchtselbsthilfe” am 22. und 23. Mai 2023 im Leonardo Hotel in Weimar Mehr Informationen

34. Suchtkongress des Fachverband Sucht+ „Medizinische Rehabilitation – fit für die Zukunft? Neue Rahmenbedingungen, neue Wege“ vom 12. bis 14. Juni 2023 in Münster Mehr Informationen

Gremien von SUCHT.HAMBURG

AK Sucht.Jugend 14. Dezember

AK Vielfalt 2. Februar 2023

AK Kinder von suchtbelasteten Eltern 6. Februar 2023

AK Enter 23. Februar 2023

FASD-Netzwerktreffen 22. März 2023

Die Termine unserer Gremien finden Sie stets aktuell auch unter www.sucht-hamburg.de/information/termine

Kontakt

SUCHT.HAMBURG
Information.Prävention.
Hilfe.Netzwerk.

Repsoldstr. 4
20097 Hamburg
Fon: 040 284 99 18-0
service@sucht-hamburg.de
www.sucht-hamburg.de

Ansprechpartnerin

Christiane Lieb
(Geschäftsführerin)